MUSIK IST EINE SPRACHE DIE JEDER VERSTEHT

 

Musik anderer Kulturen zu hören, ist für klassisch ausgebildete, westliche Musiker so reizvoll wie rätselhaft.

 

Für unser Konzert am 30. September 2018 haben wir einige Tage lang als klassisches Streichtrio intensiv mit drei syrischen Musikern zusammengearbeitet um dabei, aus zwei sehr verschiedenen Welten kommend, gemeinsam orientalische Musik zu machen. Eine tiefe Bereicherung, die ganz neue Impulse und zugleich Fragen an uns alle aufwarf. Wir hatten die Chance in eine Klangwelt einzutauchen, die sich von der unseren in fast jeder Hinsicht unterscheidet und angesichts der politischen Situation sehr fragil geworden ist.

 

In der klassischen, westlichen Musikwelt lernen wir zu musizieren, in dem wir uns als erstes auf ein Instrument festlegen. Die Kunst des Handwerks zur Bedienung dieses Instrumentes steht dabei lange an vorderer Stelle und meist kommen dann Fragen zur Musikalität, zum Zusammenspiel und dem gegenseitigen Reagieren erst viele Jahre später. Streng genommen bilden wir uns zu Interpreten aus, denn die Musik die wir spielen existiert bereits.

 

In der orientalischen Musik ist dabei fast alles anders, denn die letztlich vorgetragene Musik in ihrer Länge, Struktur und ihrem Charakter entwickelt sich überhaupt erst durch das gemeinsame musizieren. Als Grundbasis gibt es traditionelle Lieder deren Ablauf sehr streng feststeht, vergleichbar in etwa mit unseren Volksliedern. Man lässt vielleicht mal eine Strophe aus, weil man den Text vergessen hat, aber man fängt nicht mitten in der Strophe an, oder lässt die Hälfte davon weg. Da gibt es Regeln.

 

Zwischen diesen Strophen fängt dann in der orientalischen Musik das ganz persönliche Interpretieren an. Soli werden frei improvisiert, einzeln oder gemeinsam, man verständigt sich wortlos über spontane Überleitungen und baut dann auch immer wieder weitere Strophen ein. Und dabei gibt man der traditionellen Melodie und dem Text seinen ganz persönlichen Charakter. Nichts davon wird ausnotiert, ein Zettel mit Notizen reicht. Was sich hier nach unendlicher Freiheit oder gar Willkür anhört, ist aber ein strenges Beachten von unzähligen, oft ungeschriebenen Gesetzen, Traditionen und Absprachen.

 

 

Dieser Prozess war für uns als Trio ganz neu. Wir sind es gewohnt, jeder für sich den Notentext fertig erarbeitet zu haben bevor wir in die Probe gehen. Wir legen dann fest, dass wir um 16 Uhr mit unserer Probe fertig sein wollen und da die Musik ja bereits existiert, versuchen wir, in der zur Verfügung stehenden Zeit zur größtmöglichen Perfektion und persönlichsten Interpretation zu kommen. Und um 16 Uhr packen wir dann die Instrumente ein. Meistens passt das so.

 

Nach unserem ersten gemeinsamen Probentag wollten die syrischen Musiker noch weiter für sich üben. Als sie nachts um 2:30 noch immer nicht bei mir waren, liefen mir diverse Sorgen durch meinen verschlafenen Geist. Bald aber klingelte es endlich und sie kamen – von der Probe. Sie hatten geprobt, bis ihre Musik fertig entwickelt war. Nicht nur ihre Soli und die Abläufe, sondern auch ein eigenes Lied über ihre Liebe zur Heimat, das verknüpft wurde mit ihrer ganz persönlichen Version eines Liedes von Anna Magdalena Bach. Sie wollten unsere beiden Kulturen zusammen bringen, ohne Noten, ohne fertige Komposition und das brauchte Zeit.

 

Alle drei leben schon seit ein paar Jahren in Deutschland und kennen die Unterschiede zwischen den Kulturen besser als ich sie kenne. Eigentlich kannte ich sowieso fast nichts über sie und ihre Heimat, ausser Bildern und Infos über die letzten Jahre...

 

Aber Syrien ist für die drei auch das Land in dem sie die meisten Jahre ihres Lebens in einem sehr friedlichen und fruchtbaren, kulturellen Umfeld aufwachsen konnten.

 

Sie haben angefangen Musik zu studieren mit pädagogischem Schwerpunkt. Aber nur einer von ihnen hat es geschafft, vor Ausbruch des Krieges mit dem Studium fertig zu werden. Wenn sie hier also zusammenkommen, unter diesen völlig anderen Umständen, dann ist das für sie auch die Möglichkeit ihren Stil und ihr Können gemeinsam weiter zu entwickeln. Dass sie drei ganz verschiedene Instrumente spielen, steht diesem gemeinsamen Studium überhaupt nicht im Weg, denn sie üben, zusammen zu musizieren. Instrumentenspezifische Problematiken spielen dabei keine Vordergründige Rolle.

 

Ibrahim spielt Kanun, ein Instrument mit 76 Saiten, die jeweils noch durch 10 kleine Plättchen in ihrer Stimmung variiert werde können, um verschiedene Vierteltöne und Spannungsreiche Halbtöne zu erzeugen. Er zupft sie mit den Fingernägeln an, oder mit einer metallischen Verlängerung, die er an einige Finger dran steckt. Während er dann zwischen all den Saiten zupft, verändert er zusätzlich durch die Plättchen auch ständig die Stimmung der Töne. Dadurch ist das Instrument in stetiger Veränderung und alle Saiten wechseln zwischen verschiedenen Tonhöhen. Je mehr Plättchen unter der Saite hochgeklappt werden, desto höher der Ton.

 

Abed spielt Oud und er singt. Die Oud ist vergleichbar mit einer kleinen Gitarre oder Laute, ihr Korpus ist aber wesentlich rundlicher. Und Hadi trommelt auf diversen Rhythmusinstrumenten mit Händen und Füßen.

 

Und wir? Malte Schiller hatte uns ein Arrangement geschrieben, um uns klassischen, westlichen Musikern diese gemeinsame Musiksprache zu ermöglichen. Denn leider geht bei uns ohne Noten fast nichts. Er hat nicht nur die traditionellen Lieder notiert, sondern auch eine Intro geschrieben, sowie unsere Soli und Zwischenspiele. Und dann hatten wir ein Ergebnis, mit dem Ibrahim anfangs wirklich überhaupt nicht einverstanden war. Es war weder authentisch noch spontan und eigentlich fehlten auch kleine Einzelteile. Davon hatten wir keine Ahnung, aber immerhin Noten mit Taktzahlen und Ziffern. Gut – dann fügen wir etwas ein. Zum Beispiel in Takt 41.

 

Und damit fing der eigentliche Prozess erst an, denn während wir unsere schönen Takte zählen konnten, hatten die drei Syrer alles mögliche im Kopf, aber bestimmt nicht unsere ausnotierte Version und Takt 41 sagte ihnen nichts. Wir haben die Lieder gesungen, Abschnitte gezählt, alles mögliche in unsere Noten geschrieben, hier etwas wiederholt, dort einiges weggelassen, dafür noch ein kleines Solo kurz vor Schluss und fertig war - der Kompromiss. Da ich es überhaupt nicht beurteilen kann war meine größte Sorge, ob Ibrahim zufrieden ist oder nicht. Und da Ibrahim wahnsinnig höflich und wohlwollend ist, hoffe ich das es wirklich ganz ehrlich war als er mir sagte, das es gut war. Sein Wunsch, die Musik seines Heimatlandes wirklich und völlig authentisch, fühlbar und ehrlich wiederzugeben hat uns alle angetrieben und mich tief berührt. Schließlich ist auch die mir vertraute europäische Musik meine geliebte Sprache, in der ich mich von klein auf bewege, vor der ich Respekt habe und ich möchte sie authentisch interpretieren und sprechen.

 

 

 

Text: Sophie Pantzier

Fotos: Francois Lefèvre

Wir danken den Freunden und Förderern der NDR Radiophilharmonie für die finanzielle Unterstützung dieses besonderen Projektes.

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