GOLDBERG im Dialog – Trio d'Iroise & Syriab

 

SYRIAB TRIO: Wir hatten Caspar bei einem gemeinsamen Projekt mit Ensemble Reflektor kennengelernt, einem angesehenen Kammerorchester dem er angehört. Seine Freude an unserer Musik und seine Körpersprache beim Musizieren ist uns damals aufgefallen. Er fragte viel nach unseren Hintergründen von Krieg und Flucht und zeigte ehrliches Interesse an unserer Geschichte.

 

TRIO D'IROISE: Uns war schnell klar, das wir in unserer Musik einen gemeinsamen Weg von Bach hin zu einer arabischen Version gehen wollten.

 

Das passte auch aus unserer Sicht. Denn mit dem SYRIAB Ensemble hatten wir in vergangenen Konzerten schon Experimente in diese Richtung durchgeführt.

 

Unsere erste gemeinsame Probe im Frühjahr 2018 wirbelte alles durcheinander, was wir in unserer westlichen Musikausbildung gelernt hatten. Andere Skalen, Herangehensweisen, keine Noten. Nach und nach aber entstanden diverse Arrangements arabischer Lieder und Tänze ... bis irgendwann der Wunsch auftauchte, auch die westliche Welt mit gemeinsamen Ohren zu hören. GOLDBERG sollte ein Werk im Spannungsfeld zwischen zwei Kulturen werden. Würde es uns gelingen, unsere Hörer*innen von der einen Welt in die andere hin mitzunehmen?

 

Bach war ein natürlicher Startpunkt. Wir hatten Stücke von ihm bereits bearbeitet, seien es Menuette oder Auszüge aus dem Weihnachtsoratorium. Bei einem der ersten Konzerte mit Trio d’Iroise überraschten wir das Publikum mit einem Menuett aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach - ganz frech im 4/4 Takt im arabischen Rhythmus “Malfouf”.

 

Der erste Schritt: Ein eigenes Streichtrio-Arrangement als Basis. Dann baten wir Ibrahim, uns in die Grundlagen der arabischen Musik einzuführen und lernten einige der über 70 Maqam (Tonarten), Basics der Improvisationsregeln und übten Vierteltöne. Unsere syrischen Freunde wiederum trainierten sich im Spielen nach Noten und polyphonen Linien, im Pausen zählen und in der Strenge von Bachs Musik.

 

Für GOLDBERG tauchten alle Beteiligten in die Materie der jeweils anderen Musiksprache ein. Gegenseitiges Voneinander-Lernen und ein gemeinsames Entwickeln des Materials prägten die Zusammenarbeit.

 

Immer wieder kamen wir zusammen und überlegten, probierten aus, verwarfen, diskutierten und ließen nach und nach die Ideen für die Arrangements entstehen.

 

Wir tauschten mit dem Trio d’Iroise Konzepte für jede Variation aus. Das war der Fahrplan für den weiteren Entstehungsprozess. Wir stellten uns viele Fragen: Wie weit „darf“ man gehen? Wo passen Maqam? Welche Rhythmen können wir einbauen? Wo kann man Bachs Material zerpflücken? Und nach Feierabend durfte natürlich auch der kulinarische Austausch nicht fehlen.

 

GOLDBERG beginnt bei Bach und lässt zunehmend arabische Instrumente hörbar werden, um dann immer mehr Elemente der arabischen Musik wie traditionelle Gesänge, Improvisation, Vierteltöne und Tänze aufzugreifen. Dabei bleibt die originale Abfolge der Variationen bestehen, wird aber unter neuen Blickwinkeln beleuchtet. Es erwies sich als tückisch schwer, zwei verschiedene tonale Systeme miteinander kombinieren zu wollen.

 

Kein Wunder. 30 Variationen - das erschien wie ein großer undurchdringlicher Wald von Noten und Tönen. Um einen Überblick zu erhalten, machte ich lange Spaziergänge, schob meine Tochter im Kinderwagen und hörte laut verschiedene Aufnahmen der Goldberg Variationen, um sie wirklich zu verinnerlichen. Ich wollte herausfinden, wo die tieferen musikalischen Verbindungen liegen. Die Menschen, die mir begegneten dachten bestimmt, es sei ein pädagogisches Konzept, das schlafende Kind mit Bachs Musik zu beschallen.

 

Während Bach beliebig oft die Tonarten wechselt, von einer Harmonie in die nächste führt und dafür den uns vertrauten Raum der 8 Töne im Oktavraum nutzt, reichen in der arabischen Musik 4 Töne aus, um zu zeigen, in welcher Maqam gespielt wird. Diese bleibt dann meist während eines Liedes bestehen und wird nur in den Improvisationen moduliert. Die Ergebnisse sind umso spannender, je heftiger die Punkte „Enge und Weite“ tonal ausgereizt werden. Vierteltöne sind da der Gipfel, auch übermässige Sekunden sind stark und bringen im Fall GOLDBERG in die Kontrapunkt-geprägte Mehrstimmigkeit Bachs wirklich außergewöhnliche Farben hinein.

 

Die Goldberg Variationen besitzen eine Tiefe und Bachs Musik eine Zeitlosgkeit, die Kontraste der verschiedenen Musiksprachen erlaubt. So haben wir arabische Gesänge wie einen Teppich darüber gewoben und eine Dramaturgie aufgebaut, die ein spannendes Wechsel- und Zusammenspiel der beiden Trios hervorbringt.

 

Der erste arabische Einfluss auf GOLDBERG ist der Klang der Oud. Mehr und mehr kommen weitere Instrumente hinzu, lässt der Notentext Freiräume für Improvisationen zu. In der Mitte des Werkes hören wir zum ersten Mal Abdalhades Gesang, der sowohl von religiösen wie auch weltlichen Themen singt, mal traditionelle Melodien einwebt, mal freie entfaltet. Für die letzten Variationen sind die Ideen Bachs Aufhänger für gänzlich neues, Arabisches, freies; dennoch bleiben sie für Kenner der Original-Variationen erkennbar. Einen besonderen Stellenwert hat hier das Quodlibet. Es lässt traditionell mehrere Melodien gleichzeitig hörbar werden und seine Melodie ähnelt einem alten syrischen Lied auf so verblüffende Weise, dass es sich mühelos mit Bachs originaler Bassstimme unterlegen lässt.

 

Am Ende des Prozesses zu GOLDBERG blicken wir voller Dankbarkeit auf viele herrliche, zaghaft tastende, lustige und immer von Geduld geprägte Momente der Erkenntnis, die uns über die Jahre hin tiefer und tiefer in die gegenseitigen Welten blicken ließen. Es sind diese Momente, die zum roten Faden unserer Freundschaft geworden sind – in und abseits der Musik.

 

 

Und der Faden führt uns stetig weiter. Auch die vorliegende CD ist nur die aktuellste Version unter vielen, die wir uns ständig hin- und hergeschickt haben. GOLDBERG lebt und entwickelt sich immer weiter, jedes Mal wenn wir zusammen kommen.





DAS SYRIAB TRIO IST MIT IBRAHIM BAJO (KANUN), ABDALHADE DEB (OUD UND GESANG) UND AMJAD SUKAR (RHYTHMUSINSTRUMENTE) eine kleine Formation der 7-köpfigen Band SYRIAB, welche mit ihrer ungewöhnlichen Besetzung von Kanun, Oud, Nay, Percussion, Akkordeon, Klarinette und Oboe, arabische, klassische und folkloristische Musik in kammermusikalischem Gestus präsentiert und in ihrer bunten Besetzung Musiker*innen aus Syrien, Deutschland und Italien vereint. Im Ursprung ein Orchester von über 40 Musiker*innen, welches von Ibrahim Bajo (Kanun) 2009 in Syrien gegründet wurde, lebt der Geist des Ensembles heute in dieser Band weiter.

 

 

 

Regelmäßig kooperiert SYRIAB mit verschiedenen Kammerbesetzungen oder Orchestern, wie dem ensemble reflektor, Neues Kammerorchester Bremen, Hochschulorchester der Musikhochschule Lübeck, Collegium Musicum Bergstraße oder jüngst sogar der Nerly BigBand Erfurt, mit welcher 2021 die CD Habibi entstand.

 

 

 

Nachdem das Trio d‘Iroise das Zusammenspiel mit syrischen Musikern für ihr Finale beim deutschen Musikwettbewerb 2018 auswählte, besteht eine besondere Freundschaft zwischen den beiden Ensembles. Regelmäßig trifft das Streichtrio seitdem auf die klassische Triobesetzung der arabischen Musik: Kanun, Oud und Perkussion. Die eigens für diese Kombination erstellten Arrangements waren bisher u. a. in Bonn, Hannover und Wiesbaden zu hören und erschienen auf einer Live-CD des Trio d‘Iroise.

 

 

 

www.syriab.de