MUSIK IN DER WÜSTE

„Klar, und ich bin der Kaiser von China.“ So beendete Caspar das Telefonat prompt, als es hieß „Hier spricht die deutsche Botschaft in Riad, Saudi-Arabien.“

 

Wir hatten es im ersten Moment für einen Werbeanruf gehalten, als wir mit einem Vorlauf von knapp drei Monaten zu einer kleinen Konzerttour nach Riad eingeladen wurden.

 

Die Organisation der Reise erfolgte dann so kurzfristig wie ungewiss. Jenseits unserer hiesigen Vorstellungen von Planungssicherheit, buchten wir Flüge und organisierten Visa, vor allem auf der Basis von Vertrauen und Hoffnung. Dass alles gut ging und nicht kurz vor Reisestart fast kippte, obwohl wir ahnungslos die Namen unseres Vaters, des Vaters unseres Vaters und des Vaters unseres Vaters unseres Vaters nicht angegeben hatten, passt wie eine Illustration zu der ganzen Reise.

 

Ein wichtiger Teil unserer kurzen Tour sollte die Zusammenarbeit mit saudischen Musikern sein. Hierfür schickte uns Rasha, eine syrische Mitarbeiterin der deutschen Botschaft, vorab noch Noten für verschiedene traditionelle Werke. Neben drei Konzerten in vier Tagen planten wir deshalb einen ganzen Tag für einen gemeinsamen Workshop ein.

 

Am Abend vor der gemeinsamen Zusammenarbeit meldeten sich dann alle saudischen Musiker krank. Was wir im ersten Moment als unhöflich empfanden, entpuppte sich schnell als Lampenfieber – das Musikmachen und -hören war in Saudi-Arabien erst seit kurzem erlaubt, eine Routine im Umgang mit anderen Musikern, oder gemeinsam auf der Bühne zu stehen gab es einfach noch nicht.

 

Über Nacht entstand dennoch sehr spontan unser künftiges Team, zusammen mit Ayas und Hbdallah an Gitarre und Trommel. Ayas sprach ein paar Worte Englisch und Hbdallah war auch ohne unglaublich freundlich – gepriesen sei die Zeichensprache.

 

 

 

 

Der Versuch des gemeinsamen Musizierens, offenbarte indes ziemlich schnell noch ganz andere Komplexitäten. Mündliche Überlieferungen sind vor allem dann tückisch, wenn wiederum eine andere Überlieferung etwas anderes behauptet. Wer ein Lied von Kindheit an in bestimmter Weise singt, hält eine abweichende Version für falsch. Wer jetzt nach Noten zu spielen gelernt hat, kann sich als flexibel bezeichnen, selbst wenn er am Ende des Tages das gewohnte Lied besser findet. Als Europäer konnten wir die Authentizität des von Rasha gesendeten Notenmaterials so gar nicht beurteilen. Als nach wenigen Minuten feststand, dass diese Lieder für unsere Musikpartner eindeutig falsch waren, gab es nur eine Option und die hieß für uns „Notendiktat“.

 

Es wurde ein langes und leichter wäre es sicher gewesen, wenn man hätte von Takten, Motiven, Themen, Wiederholungen, Refrain und Strophe sprechen können.

 

Konnte man aber nicht. „No problem Miss Sophie.“

 

Gut so, denn Ayas musste die Lieder immer wieder komplett durchsingen bis ich alles fertig geschrieben hatte. Eine Absprache à la „Den ersten Teil habe ich, fangen wir dort an wo das Thema wiederholt wird.“, war ohne Englisch und ohne Notenkenntnisse einfach nicht möglich. Sehr deutlich wurde uns hier auch vor Augen geführt, wie stark wir uns an eine Gliederung in Takte gewöhnt haben die eine grundsätzliche Struktur bilden, an mögliche Sätze wie „Hier fehlt eine Viertel, dort ist eine Achtel zu viel, kannst du es deutlicher singen, oder ohne Verzierungen?“.

 

Auch das Wort ornaments war unbekannt und damit auch die Technik, ein Lied oder eine Melodie in seiner einfachsten Form zu notieren und alle Verzierungen den individuellen Ideen des jeweiligen Künstlers zu überlassen. Ayas kannte die Melodie genauso wie er sie spielte, Melodie und Verzierung war für ihn ein und dasselbe.

 

Für uns mögen diese Dinge grundsätzlich wirken, aber wir müssen uns daran erinnern, dass wir dies unserer langjährigen Ausbildung und der tiefen Verankerung von Musik und Kunst in unserer Gesellschaft verdanken, die in Saudi-Arabien ganz anders ausgeprägt ist. Für uns bot sich durch diese Situation wiederum die Gelegenheit für verschiedene Premieren. So spielten wir beispielsweise das erste Konzert Riads vor gemischtem Publikum außerhalb des diplomatic quaters, einem Stadtviertel Riads mit 40.000 Bewohnern für alle Botschaften und ihre Mitarbeiter.

 

Und wir erlebten auch, was es für die Organisation eines Konzertes heißen kann, eine solche Premiere zu bieten. Die Verstrickung diverser Fehlplanungen hatte dazu geführt, dass um 18:30 Uhr noch nichts aufgebaut war, obwohl genau jetzt unser Open-Air Konzert anfangen sollte.

 

Zuerst fing alles einfach zu spät an. Und dann bewegte sich aus einem Team von 6 Bühnenarbeiter eigentlich nur Einer, während die anderen beobachteten und Rat gaben, was dazu führte, dass der eine Mann der Tat seine Bühnenteile immer wieder umbauen musste. Als wir diese Szenerie kurz verließen, weil ein Eiswagen aufgetaucht war, empfanden die Arbeiter dies als klares Signal zur Pause. So schlug es 18 Uhr und nichts war fertig, es gab keine Mikrofone und kein Licht. Und 18 Uhr hieß auch: Start für 30 Minuten Gebet und in dieser Zeit ist es nicht erlaubt Musik zu machen, zu hören oder zu arbeiten.

 

So begann unser Konzert dann ohne Soundcheck, eher leise und im Schein der Dämmerung, denn zeitlich wurden wir in den Abend hinaus wiederum aufgrund der nächsten Gebetszeit eingegrenzt und mussten pünktlich anfangen. Auch war der Park bereits voll mit jungen Leuten, die im Laufe des Abends schönerweise mit lautstarker Begeisterung dieser für sie so unbekannten Musik zuhörten und am Ende für Selfies und Interviews anstanden.

 

Text: Sophie Pantzier

Fotos: Francois Lefèvre

 

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